Freitag, Februar 12, 2010

Mogelpackung Lippstädter Gesamtschule?

Lippstadt bietet reichlich bemerkenswerte Themen: der Suizid auf Raten der kommunalen CDU, das stets in Planung schwebende Allwetterbad, die berühmte Unterführung, das fast schon gestorbene Projekt Betonklotz und auch das sehr reizvolle Thema Gesamtschule.

Wir erinnern uns: Eigentlich wollte die Stadt ja keine Gesamtschule, weil ja in Lippstadt das mit den Schulen alles so super ist. Aber die INI und viele Eltern wollten eine. Dann wurde die Elternbefragung durchgeführt. Das Ergebnis entsprach leider nicht dem Plan (eigentlich sollten die Eltern ja für die tolle Lippstädter Schulllandschaft und gegen die böse Gesamtschule stimmen) und schon hatten unsere Stadtväter und -mütter den Salat. Damals war Hannilein ja auch noch irgendwie am Start, aber die schimpft heute nur noch über ihre eigene Partei (aber "das ist ein weites Feld"...na, wer hats gesagt?)

Hmm, also nun wohl doch eine städtische Gesamtschule, jedenfalls irgendwie nicht mit der INI, sondern anders. Auch nicht als Ganztagsschule, was ich nie verstanden habe, da ja gerade hier das Bonbönchen der Gesamtschule liegt. Es wurden wie immer Ausschüsse und Beiräte und was weiß ich gebildet, die dann erstmal munter vor sich her berieten, so hoffe ich.
Schulort und Schulstruktur waren schnell gefunden - das war auch alles. Fragt man z.B. bei der angeblichen Fachfrau für die Gesamtschule mal etwas konkreter nach, z.b. was die Förderung von Kindern mit Teilleistungsstörungen angeht, so dringt nur Schweigen durchs Telefon.Dennoch meldeten viele Eltern ihr Kind an - richtig so, denn angesichts der aktuellen Situation unseres Schulsystems kann man dazu nur dringend raten.
Das ganze Hinundher zum Thema Genehmigung durch die Bezirksregierung spare ich mir nun - kann man in MGH nachlesen. Viel spannender ist der Leserbrief, der heute den Weg ins Blatt fand.

"Ich wünsche mir:
- eine Gesamtschule für alle Kinder, damit jedes Kind die Möglichkeit bekommt sich nach seinen Fähigkeiten zu entwickeln,
- engagierte und geschulte Lehrer, die ihren Beruf noch als Berufung sehen und nicht als gut bezahlten Halbtagsjob,
- notwendige Therapien wie Psychomotorik, Lese-Rechtschreib-Schwäche- oder Dyskalkulie-Therapie, eingebunden in das Konzept der Schule,
- sportliche Angebote der Schule für alle Schüler,
- eine Kantine mt einem ausgewogenen Mittagsangebot sowie
- Ganztags-Unterricht mit qualifiziertem Personal anstatt Nachmittags-Betreuung durch Kindergarten-Erzieherinnen."

Liebe Frau Henschel-Knorr, Sie haben völlig recht. Wenn ich ganz ehrlich bin, wünsche ich mir all das für alle Kinder in allen Schulformen - das Wörtchen "Gesamt" kann man da ersatzlos streichen. Aktuell erlebe ich eine sehr erschreckende Entwicklung in den Schulen: Kinder, die nicht 08/15 sind (was auch immer das sein mag und welchen angeblichen Vorteil es auch bieten könnte), werden schnellstmöglich von manchen Lehrern "wegsortiert", "durchgereicht", im Klartext an Förderschulen verwiesen. Da werden Kinder aufgrund völlig irregulärer Tests, die natürlich von Lehrern durchgeführt werden, als lernbehindert eingestuft. Manche Lehrer diagnostizieren heute auch locker ADHS oder emotionale und soziale Störungen bei Kindern. Beachtlich, was manche Pädagogen alles so können. Psychiater brauchen dazu schon mal ein paar Diagnostiktermine. Die Folge ist steigender Druck in den Familien, der natürlich bei den Kindern landet. Die sind die Schwächsten im System. Schlafstörungen, Bauchschmerzen, Ängste, Enuresis, aber auch beginnende Depressionen oder Aggressionen sind die natürlichen Folgen.
Wer als 10-jähriges Kind nicht echt hart gesotten ist, kann im heutigen "G8"-Horror kaum überleben - Eltern übrigens auch nicht.

Und was die von Ihnen gewünschten Therapien in der Schule angeht: Gerne! Das Problem ist nur, dass viele Lehrer den Therapeuten als natürlichen Feind betrachten. Das beginnt schon damit, dass Lehrer manchmal der Meinung sind, das es keine LRS/Dyskalkuklie gebe. Manche denken auch, dass das betreffende Kind mit Sicherheit nicht betroffen sei, warum auch immer. Angebote an Lehrer, in den Therapien zu hospitieren oder sich wenigstens das Material anzusehen, werden seltenst wahrgenommen.

Zur Ehrenrettung der Lehrerschaft ist zu sagen: Diejenigen, die diese Angebote wahrnehmen, sind alle hochengagiert und bereit, das betroffene Kind neu wahrzunehmen. Und aus diesen wenigen Fällen entwickeln sich auch produktive Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

Vielleicht, liebe Frau Henschel-Knorr, fällt Ihnen ja ein Weg ein, wie man das Problem lösen könnte - zum Wohle der Kinder. Warum nicht Schulen für andere pädagogische oder therapeutische Berufe öffnen? Warum nicht die Ganztagsschule, die wirklich fördert und fordert?
Da fällt mir ein: In Rüthen ist doch grade so ein Theater um eine Montessori-Schule. Dazu wollte ich ja auch noch bloggen.

6 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Wenn das "Bonbönchen" der Gesamtschule in einer Ganztagsbetreuung besteht, dann lade ich alle Eltern, die hier mitlesen, herzlich ein, sich das Gymnasium Schloss Overhagen einmal genauer anzusehen.

Dort besteht die Möglichkeit, den Kindern ein Mittagessen (wenns noch so ist wie zu meiner Zeit, dann ist es ausgewogen, oft sogar lecker und findet in einem echten Schloss statt - WAAAHNSINN!) und anschließende Hausaufgaben-Betreuung durch das Lehrpersonal (!) angedeihen zu lassen, ergänzt um Förderunterricht.

Eine ganz neue, andere Schulform braucht's DAFÜR also eigentlich nicht.

Und wenn ich mir die allgemeine Meinung hier in Bielefeld so anhöre, dann ist die Gesamtschule nicht wirklich eine erstrebenswerte Schulform. Gelinde gesagt. Aber das muss zugegebenermaßen nicht auch für Lippstadt gelten. Lippstädter machen ja immer alles richtig.

Eure Vorschläge, wie man den Kindern zuliebe "besser lehren" kann, finde ich klasse.

annalog - rheinisch-westfälische völkerverständigung hat gesagt…

Naja, Andreas, wann hast du denn Abi gemacht, wenn ich mal fragen darf? Sicher nicht in den letzten Jahren, oder? G8 war bei dir wohl noch kein Thema.
Das "Bonbönchen" bezog sich auf die Tatsache, dass heute notgedrungen Nachmittagsunterricht erteilt werden muss, leider meist ohne entsprechende Tagesgestaltung.
Und ein guter Ganztagsunterricht besteht meiner Meinung nach nicht nur aus einem guten Mittagessen.

Unknown hat gesagt…

Natürlich nicht, das Mittagessen muss zusätzlich in einem SCHLOSS stattfinden ;o)

Im Ernst: Du hast die von mir beschriebene Betreuung durch Lehrer und den Förderuntrricht unterschlagen. Böses Mädchen! In die Ecke mit Eselshut. Und schämen!

Ich habe 1993 Abitur gemacht. Da ging sowas also schon ;o)

Anonym hat gesagt…

Zu Ehrenrettung an einige CDUler incl.der"alten"Fraktionsvorsitzenden ist zu berichten ,dass diese sich von Anfang an auch öffentlich für eine Gesamtschule einsetzte.Gegen viele CDUler !Siehe entspr.Presse im Gegensatz zu denjenigen CDUlern die heute so tun ,als wären sie die Hebammen der Gesamtschule.Dass ist ja unglaublich,was da heute veröffentlicht wurde.Die Gesamtschule muss im Ganztag geführt werden alles andere wäre Killefitt.Übrigens man sagte stets:Privat vor Staat.Mal sehen ,was die alten Herren der CDU jetzt mit dem von Andreas beschriebenen Schloss Overhagen vorhaben????Wg.zuvieler Kapazitäten...

annalog - rheinisch-westfälische völkerverständigung hat gesagt…

@Andreas...1993...soso....*grins. Und noch dazu in Overhagen. *feix. (ich sag nun lieber nicht, wo ich auf der Schule war.)Ok, da gabs ja definitiv noch kein G8 und auch nicht die damit verbundene "Hektik" in Unter- und Mittelstufe. Mein natürlicherweise äußerst wohlgeratener Sohn darf momentan die 6.Klasse G8 genießen. Bis zum neuen Halbjahr hieß das: 2 mal die Woche 7 Stunden Unterricht durch. Fand ich nciht so prickelnd.
Aber G8 ist ein anderes Thema.

Ich würde mir halt für unsere Kinder wünschen, dass ein gutes, pädagogisch sinnvolles Konzept für Ganztagsschulen entwickelt würde, das nicht nur reine Kinderaufbewahrung ist.

@Anonym..Ich bin auch gespannt, was nun aus der so optimalen Lippstädter Schullandschaft wird. Mal schauen, welche waghalsigen Wendemanöver wir und noch ansehen dürfen.

Sylvia hat gesagt…

hallo annalog, - ist ja schön, dass sich nochmal jemand erinnert, wer das thema "gesamtschule" in lippstadt überhaupt auf den tisch gebracht hat... und soweit ich weiß, läuft das antrags-procedere der ini-gesamtschule auch noch weiter... - redet nur keiner mehr drüber, - die stadtväter und -mütter natürlich am wenigsten gerne...